Gerold Miller setzt sich mit Fragen der Bildlichkeit im Grenzbereich von Skulptur, umgrenzter Wandfläche und skulptural-bildhaft definierter Architektur auseinander. Seine Objekte können als Bilder gelesen werden, genauso legitim ist es aber sie als Skulpturen aufzufassen. Somit könnte man seine „total objects“ als dreidimensionale Bilder bezeichnen. Es sind Objekte, die eine gewisse Tiefe aufweisen und sich plastisch vom Hintergrund abheben, wobei sie nicht auf dem Boden stehen, sondern an der Wand hängen wie Tafelbilder. Dadurch, dass ihre äussere Haut eine glatte, polierte Schicht ohne jegliche Vertiefungen aufweist, kokettieren die Objekte mit der Fläche. Der erste optische Eindruck, den man von den in kräftigen Farben, oder auch schwarz und silbern lackierten Werken erhält, ist die Kontur, die sich messerscharf von der dahinterliegenden Wand abhebt. Gleichzeitig produzieren die glatten Oberflächen einen Spiegeleffekt, der bewirkt, dass eine Verbindung zwischen Werk und umgebender Architektur hergestellt wird, und der daher paradigmatisch für Millers Denken in räumlichen Parametern steht.
Die „total objects“ sind eine Serie von Werken, die als Variationen über ein bestimmtes formales Thema funktionieren. Die Grundstruktur der Werke ist das Rechteck, das an den Ecken abgerundet ist und jeweils in der Mitte des Objekts in Form einer Aussparung wieder aufgenommen ist. Diese Aussparung
LOAD MORE +
Gerold Miller setzt sich mit Fragen der Bildlichkeit im Grenzbereich von Skulptur, umgrenzter Wandfläche und skulptural-bildhaft definierter Architektur auseinander. Seine Objekte können als Bilder gelesen werden, genauso legitim ist es aber sie als Skulpturen aufzufassen. Somit könnte man seine „total objects“ als dreidimensionale Bilder bezeichnen. Es sind Objekte, die eine gewisse Tiefe aufweisen und sich plastisch vom Hintergrund abheben, wobei sie nicht auf dem Boden stehen, sondern an der Wand hängen wie Tafelbilder. Dadurch, dass ihre äussere Haut eine glatte, polierte Schicht ohne jegliche Vertiefungen aufweist, kokettieren die Objekte mit der Fläche. Der erste optische Eindruck, den man von den in kräftigen Farben, oder auch schwarz und silbern lackierten Werken erhält, ist die Kontur, die sich messerscharf von der dahinterliegenden Wand abhebt. Gleichzeitig produzieren die glatten Oberflächen einen Spiegeleffekt, der bewirkt, dass eine Verbindung zwischen Werk und umgebender Architektur hergestellt wird, und der daher paradigmatisch für Millers Denken in räumlichen Parametern steht.
Die „total objects“ sind eine Serie von Werken, die als Variationen über ein bestimmtes formales Thema funktionieren. Die Grundstruktur der Werke ist das Rechteck, das an den Ecken abgerundet ist und jeweils in der Mitte des Objekts in Form einer Aussparung wieder aufgenommen ist. Diese Aussparung ist nicht nur im wörtlichen Sinne zentral, sondern auch insofern, als sie den Blick auf die Wand freigibt, die infolgedessen das Objekt nicht einfach umfasst sondern selbst vom Werk eingerahmt wird. Das Spiel mit Rahmung und Umrahmtsein, aber auch mit Plastizität und Fläche wird um eine zusätzlich Ebene erweitert, wenn Miller durch die Applizierung eines schmaleren und dunkleren Streifens auf der Farbfläche einen Schlagschatten vortäuscht. In Serie aufgehängt, bewirkt die Repetition dieser spezifischen Form Strukturierung und Kontinuität, während die verschiedenen Farben den Raum rhythmisieren.
Die präzisen, kantigen Aluminiumobjekte wirken elegant und erinnern in ihrer Industrie-Ästhetik an Werke der Minimal Art. Überhaupt liegen wichtige Referenzen in der Zeit der sechziger Jahre. Nicht nur an minimalistische Objekte gemahnen die Werke, sondern auch Color Field Painting und Hard Edge haben ihre Spuren in Millers Ästhetik hinterlassen. In ihrer Abstraktheit und Nicht-Referenzialität weisen die Werke durchaus auch weiter in die Kunstgeschichte zurück. Sie revisionieren die Raumkonzepte der russischen Konstruktivisten, die Malerei, Skulptur und Architektur als „echte Materialien in echten Raum“ zu einem Gesamtkunstwerk vereinigen wollten, das zur Konstruktion einer besseren Menschheit dienen sollte. Die entscheidende Differenz der Millerschen Werke zu den utopisch geprägten Avantgarde- und Neo-Avantgardebewegungen liegt darin, dass die „total objects“ fest in der Faktizität der Gegenwart verankert sind und sich utopischen Ansprüchen entziehen.
Es wäre reduktionistisch, wenn man Millers Werke nur unter dem Gesichtspunkt der kunstgeschichtlichen Verweise betrachten würde. Wie erwähnt, verortet der Künstler die Objekte dezidiert in der Gegenwart. Der Bezug zu „Realität“ ist ihm wichtig, d.h. die Alltagswelt und die Bilder, die sie produziert, sind Teil der Werke. Besonders gut manifestiert sich dies in jener Gruppe unter den „total objects“, deren Oberflächen von Kratz- und Schleifspuren bedeckt sind. Miller fügt den fertigen Werken mit den wertvollen Oberflächen diese Kratzer zu, indem er sie – an einem Seil befestigt – auf Streifzügen durch die Strassen seines Wohn- und Arbeitsquartiers in Berlin Kreuzberg am Boden hinter sich her zieht. Somit schreibt sich die (Lebens-)Realität im wahrsten Sinne des Wortes im Kunstwerk ein. Diese Methode bietet dem Künstler die Möglichkeit, das Draussen – die Welt, die städtische Umgebung – mit dem Drinnen – das Kunstwerk in seiner Hermetik, seiner artifiziellen Umgebung – zu verschränken. Somit drängt sich eine andere Weise auf, die zunächst so modernistisch anmutenden Werke zu sehen.
Friederike Nymphius