Unser beobachtender Blick auf die neuen, im letzten Jahr entstandenen Arbeiten des Düsseldorfer Bildhauers Felix Schramm wird vor allem zu einen: zum visuellen Abtasten dieser gefärbten Oberflächen, die etwas eigenartig Haptisches besitzen, das organisch, d.h. lebend, doch aber auch tote Materie zu sein scheint. Der Künstler hat sich zur Herstellung dieser Boden- und Podestskulp- turen den Negativformen aus Silikon eines befreundeten Theaterrequisiteurs in Italien bedient, ebenso wie verschiedener, aus vergangenen Zeiten stammenden Kuriosa wie einer Jagdtrophäe, die, von Kopf und Geweih erleichtert, jetzt nur noch als Stumpf aus der Wand ragt. Durch mehrfaches Abformen oder Umgiessen, auch von Teilen des eigenen Körpers oder Dritter, sind Gebilde entstanden, die den Prozess der mehrmaligen Veränderung der Form durchlaufen und den Zustand der Abbildung bereits weit hinter sich gelassen haben.
Mit dem Wissen um seine anderen, raumgreifenden Arbeiten bietet die neue, vom Künstler vollzogene Konzentration hin zum Objekt interessante, theoretische Gedankenanstösse. Dabei wird die vermeintliche Unvereinbarkeit von Abstraktion und Figuration (man beachte „él“) ebenso befragt (die Unvereinbarkeit des Kanons wurde von den Surrealisten bis zu höchster Blüte getrieben, ein Moment, das auch im Werk Schramms hie und da in Erscheinung tritt) wie uns die visuell-haptische Erfahrbarkeit durch die camouf- lageartige durchgängige Pigmentierung einzelner Materialschichten entzogen wird („Torso“). Erinnern wir uns beispielsweise an die berühmten, mit Tarnmustern versehenen Selbstporträts Andy Warhols, so lenkt die mit einem Camouflagemuster besetzte Oberflä- che vom eigentlichen Bildträger, bzw. der eigentlichen Bildinformation ab. Schramm appliziert zwar keine Farbe, doch bewirkt ihre Einarbeitung in die skulpturale Hülle einen ähnlichen Effekt. Die Kontur erfährt optisch eine Verwischung und kann weniger leicht erfasst werden. Für Felix Schramm entstehen hier Möglichkeiten, den bildhauerischen Kategorien neue Richtungen zu geben und die Frage nach ihrer Wahrhaftigkeit und Fassbarkeit zu revitalisieren.
Die neuen Werke sind aber nicht nur als zwitterhafte Effigies mit einem geheimnisvollen Eigenleben (oder Sterben) zu lesen, sondern knüpfen auf konsequente Weise an die Arbeiten im Raum an, wovon auch eine kleinere Wandarbeit in der Ausstellung zu sehen ist. In diesen Arbeiten hat Schramm seit 2000 herkömmliches Baumaterial wie Rigipsplatten in skulptural-architektonische Objekte überführt, die in ihrer Grösse nicht nur den Raum besetzen, sondern auch seine Wände scheinbar gewaltsam durchstos- sen. Sie sehen aus, als hätte der Künstler ein vorrangig zerstörtes Stück der Architektur ausgeschnitten und neu in den Raum ge- setzt, mit allen Narben und Bruchstellen (in Wahrheit unterliegt den Raumarbeiten eine aufwändige Berechnung und Herstellung). Solche Arbeiten werden gerne im Kontext der Institutionskritik gelesen, da sie den „White Cube“, den neutralen Galerieraum auf eine Weise aufbrechen, dass sie Einblick in seine auch nur rein physische Machart zulassen.
Die Arbeiten Schramms unterwerfen sich dem Galerieraum als ideologischem Ort aber in keiner Weise. Der Künstler interessiert sich für diese post-minimale Diskussion vermeintlich wenig, benutzt er die Architektur in erster Linie als Rahmung, die er auch verän- dert, indem er sie in die Rauminstallation integriert. Diese Veränderungen bestehen aus kaum wahrnehmbaren konvexen Wölbungen in Teilbereichen der Wände. Dieser so umfassend gestaltete Raum, den Schramm auch „pneumatischen Bildraum“ nennt, konzipiert der Künstler also gesamthaft als einen Ort, um dort etwas geschehen zu lassen, etwas „in Szene zu setzen“ (Schramm).
Die Qualität dieser Arbeiten liegt in ihrer explizit bildhauerischen, ja sogar malerischen Dimension. Obwohl jedem die Bilder aus Erd- beben- oder Kriegsgebieten bekannt sind, die auch bei der Begegnung dieser Arbeiten unweigerlich in Erinnerung gerufen werden, so möchte ich behaupten, dass diese Arbeiten mehr mit Caspar David Friedrichs „Eismeer“ zu tun haben als mit einem Unglücks- fall. Was aus der Sicht der heutigen Debatte um Bildhauerei anregt, ist die Auseinandersetzung mit der in den Ausstellungsraum gesetzten „Realität“, die die schwierige illusionistische Wiederaufführung wagt (als Beispiele dazu denke man an Fischli/Weiss’ Atelier „Untitled“ aus bemaltem Polyurethan oder an Robert Kusmirowskis Präsentation im Migros Museum im Jahr 2006).
Felix Schramms Raumarbeiten sind weder ausgesprochen „bricolagiert“ (Fischli/Weiss) noch eine neue Form des Ready-made (Kusmirowski), sondern eine Art Modellanordnung, die als Mimikry und als konzeptuelle Auseinandersetzung mit der Illusion, ohne selbst eine solche sein zu wollen, zu begreifen sind. Schramm geht es nicht um den Aha-Effekt der Verzückung und das Ausloten eines dreidimensionalen Trompe l’oeil, sie sind auch kein „Remake“ mit naturalistischen Ansprüchen. Wer glaubt denn schon wirk- lich, dass durch Natur- oder Zivilisationsgewalten ineinandergekeilte Ausstellungswände oder -elemente gewaltsam den Ausstel- lungsraum eines Museums oder einer Galerie verwüstet haben? Darum mag es wohl nicht gehen, wohl aber um die immer wieder zentralen Fragen, „was sehen wir?“, „wo stehen wir?“, „was vermag die Kunst?“, „was ist ihr Freiraum?“, „gibt es die Konsequenz des Materials?“. So möchte ich dem von Felix Schramm zur Diskussion gestellten Begriff des „pneumatischen Bildraums“ eine weitere, weniger physikalische als vielmehr physiologische Bedeutungsebene beifügen. Mit dem Blick auf die Wirkmacht von Gross- rauminstallationen haben wir es hier bei diesen Arbeiten mit einem aktivierten Ausstellungsraum zur direkten Kunstbetrachtung sondergleichen zu tun, der atmet und uns den Atem stocken lässt (eine Spielform des Sublimen sicherlich), so klirrend präzise sind Form und Aussage durch den Künstler in die Welt gesetzt (wie beim „Eismeer“).